Originalartikel: YOGAEASY (https://www.yogaeasy.de/artikel/yoga-und-pilates-ergaenzen-sich-perfekt)

Transversus abdominis, inneres Korsett, Fahrradreifen?

Die Bremerin Kerstin Reif hat ein eigenes Studio und unterrichtet seit über 20 Jahren Pilates und Yoga.

YogaEasy.de: Was kann Pilates, was andere Methoden nicht können?

Kerstin Reif: Pilates ist eine wunderbare Methode, um den Körper ganzheitlich und dreidimensional zu trainieren.
Der Ansatz ist die Körpermitte. Wir trainieren im Pilates sozusagen von innen nach aussen. Schicht um Schicht, wie bei einer Zwiebel. Wir beginnen im Körperzentrum: den tiefsten Bauchmuskeln: dem Transversus abdominis. Der TV ist der einzige Muskel, der den Oberkörper mit dem Unterkörper und dem Rücken verbindet. Daher ist er ein essentieller Stabilisierungsmukel. Er arbeitet konzentrisch, vergleichbar mit einem Nierengurt. Er verbindet die Rippen von innen mit der Lendenwirbelsäule und dem Becken, daher ist die Atmung im Pilates ein Hauptelement Er ist sozusagen unser inneres Korsett, bzw. unsere Kraft aus der Mitte.

Von daher ist die optimale Zusammenarbeit von Beckenstellung, der Beckenbodenmuskulatur, der tiefsten Bauchmuskulatur und die neutrale Ausrichtung der Wirbelsäule in Kombination mit der Atmung ( Rippen) im Pilates sehr wichtig und legen den Grundstein für alle Übungen.

Das Bild eines Fahrradreifens kann dies wunderbar verdeutlichen:

Im Pilates trainieren wir den inneren Schlauch, auf den dann der Mantel aufgebaut wird. Im Umkehrschluss nützt uns der tollste Mantel nichts, wenn der innere Schlauch nicht fest ist.

Im übertragenen Sinne ermöglicht uns Pilates ein kraftvolles Zentrum aufzubauen, aus dem heraus wir uns aufrichten und öffnen können, um dem Leben offen zu begegnen. Somit ist Pilates auch für alle anderen Sportarten eine super Basis.

Wie spirituell ist Pilates?

Pilates kann durchaus auch spirituelle Aspekte haben. Allerdings stehen sie, anders als beim Yoga, nicht im Vordergrund.

Wie sind deine spirituellen Erfahrungen der letzten 20 Jahre?

Um dem Leben aufrecht und authentisch zu begegnen, braucht es innere Zentrierung. Ich habe es oft erlebt, das Klienten sich durch die körperliche Aufrichtung und Öffnung auch auf seelischer Ebene entwickeln. Sie werden gelassener, authentischer, offener, stehen mehr zu sich und agieren mehr aus ihrer Mitte heraus. Das, was nicht mehr passt und zwickt, wird losgelassen. Somit hat Pilates für mich durchaus auch eine spirituelle Ebene. Die innere und äußere Aufrichtung gehen Hand in Hand und es bedarf einer starken Mitte und Bewußtheit, um sich zu öffnen und aufzurichten.

Dann können wir aufrechten Hauptes selbstbewusster und authentisch offen und empfänglich durch das Leben gehen, ohne unsere Mitte zu verlieren. Ähnlich wie bei einem Kleiderschrank, wo alles gut geordnet ist und seinen Platz hat. Eine innere Ordnung der Muskulatur, der inneren Organe und des Geistes.

Gerne verwende ich zur Anschauung das Bild eines gut gestimmten Orchesters, das von einem Dirigenten geleitet wird. Erst wenn jedes Instrument gestimmt ist und seinen Einsatz zur passenden Zeit spielt, ergibt sich ein wunderbares Klangerlebnis.

In unserem Körper ist es genauso. Muskeln, Organe, Bewusstheit des Geistes… erst wenn alles zusammenkommt und seinen Part einnimmt ist es stimmig und authentisch.

Pilates und Yoga treten oft in Konkurrenz zueinandern auf. Zu Recht?

Nein, zu Unrecht. Im Gegenteil: sie ergänzen sich perfekt!

Der gemeinsame Nenner liegt in der Bewußtheit beim Ausführen der Übungen. Ebenfalls verbinden beide Methoden die Atmung mit den Übungen. Obwohl die Pilatesatmung technisch anders ist als beim Yoga, sollte man sich dadurch nicht verunsichern lassen. Auch mit der Yogaatmung kann man Pilatesübungen machen und umgekehrt. Die Zentrierung und Stabilisierung aus den Pilatesübungen können den Asanas sehr zugute kommen und für eine „gesunde“ Ausführung der Yogaübungen sorgen. Die intensive Bewußtheit beim Ausführen der Yogaübungen, das Hineinspüren in die Dehnung, die Atemtechnik und die Meditiation sind wertvolle Aspekte aus dem Yoga, die auch das Pilatestraining wunderbar bereichern können.

Meine Kenntnisse und mein technisches Verständnis aus dem Pilates, über die stabilisierende Muskeln, die unsere Gelenke entlasten, haben mir ein tiefes Verständnis für die richtige Ausrichtung und die Präzision bei den Yogapositionen ermöglicht. Das sogenannte „Feintuning“ prägt heute meinen Unterrichtsstil im Yoga und ich erkenne immer wieder, wie sehr es die Asanas elementar unterstützt.

Buddha, so wie wir ihn kennen, ist pummelig und sitzt gemütlich auf dem Boden. Spielt yogische Gelassenheit eine Rolle im Pilates?

Gelassenheit entwickelt sich symbiotisch zur körperlichen Aufrichtung und sind somit auch beim Pilates ein wichtiger Aspekt. Sie stellt sich ganz automatisch ein. Ich habe noch nie einen Teilnehmer erlebt, der nach einer guten Pilatesstunde nicht gelassen war. Gelassenheit ist ja auch nicht durch Pummeligsein bedingt. Sehr wohl rege ich Teilnehmer, die sehr auf ihr Gewicht fixiert sind und wissen möchten, ob man mit Pilates abnehmen kann, dazu an, als erstes ihre Waage wegzugeben. Denn die Fixierung auf das Gewicht stehen der Gelassenheit im Wege. Und oftmals sind es die völlig Schlanken, die so gar nicht gelassen sind.

Gelassenheit, Ausstrahlung und ein aufrechter Gang sind wesentlich verjüngender als 3 Kilo zu viel auf der Waage.

Spielt der Geist überhaupt eine Rolle im Pilates?

Josef Hubertus Pilates sprach selbst von der Verbindung: Körper, Seele und Geist. Im Pilates werden alle Übungen sehr bewusst ausgeführt und auch die Konzentration auf den bewussten Atem impliziert einen anwesenden Geist. Das Hineinspüren in die Muskulatur, die Gelenke, die Faszien und Organe, der Atemfluss, der die Übungen begleitet bedingen die geistige Anwesenheit und das bewusste Sein im Hier und Jetzt.

Welche Geisteshaltung wird im Pilates unterstützt?

In einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist. Tue deinem Körper Gutes, damit deine Seele Lust hat, darin zu wohnen.

Wieviel verschiedene Bauchmuskeln gibt es?

Es gibt die oberflächliche Bauchmuskulatur, die sich in die seitliche und die mittlere teilt, und die tiefe Bauchmuskulatur… Wir haben also alle Hände voll zu tun.

Welche sind die, die am schwierigsten zu erreichen sind?

Definitiv der tiefste Bauchmuskel Transversus. Erstens, weil man ihn nicht so leicht spürt, wie z.B. den geraden Bauchmuskel. Dies liegt unter anderem daran, das er „quergestreift“, ähnlich einem Nierengurt konzentrisch arbeitet. Aber jeder kann ihn fühlen, wenn man die Hände an die Taillie legt und kräftig hustet oder lacht. Das, was sich dann in der Taillie zusammenzieht, ist der Transversus. Tatsächlich lachen oder husten wir immer in unseren Anfängestunden, um ein Bewußtsein für den Transversus zu bekommen.

Zweitens erfordert es eine präzise Ausrichtung des Beckens und der Wirbelsäle, den Einsatz der Beckenbodenmuskulatur und die richtige Atmung, um den Transversus optimal zu trainieren. Hierauf wird beim Pilates besonderer Wert gelegt. Aber auch im Yoga ist ein gut trainierter Transversus essentiell und einfach wunderbar für alle Asanas.

Insbesondere bei Rückbeugen, wie z.B. der Kamelhaltung. Hier unterstützt der Transversus die Lendenwirbelsäule und wirkt stabilisierend und schützend für die Bandscheiben. Zugleich verhindert er ein Ausbrechen („flare out“ im englischen) der Rippenbögen, was insgesamt zu mehr Integrität der stabilisierenden Muskulatur und somit zu einer gesunden Ausführung der Kamelpose verhilft.

Auch beim Herauskommen aus der Kamelhaltung ist ein gut trainierter Transversus sehr hilfreich und entlastet die Bandscheiben. Auch der Kopfstand profitiert von einem gut entwickelten Transversus. Hier verhilft er zu mehr Stabilität aus der Mitte und Schutz für den Rücken, indem er uns hier zu mehr Länge und Aufrichtung verhilft und somit auch hier den Rücken entlastet. Ganz im Sinne eines gut gestimmten Orchesters.

Wie viele Schüler mit Rückenbeschwerden kommen zu dir?

80% haben entweder Rücken- oder Nackenbeschwerden. Nicht selten tritt schon nach kurzer Zeit eine deutliche Besserung der Beschwerden ein. Die liegt insbesondere an der präzisen Ausführung der Pilatesübungen/ Asanas. Es kommt eben weniger darauf an, was man macht, sondern wie man die Übung ausführt. Hierin liegt der deutliche Fokus meines Unterrichtsstils sowohl im Pilates wie auch im Yoga.

Warum ist es gut, Yoga und Pilates zu kombinieren?

Um das Beste von Beidem zu bekommen! Kräftigung der Körpermitte, Dehnung , Öffnung, herausforderndes Übungsrepertoire, Freude an den Übungen; Gelenkstabilisierende Ausrichtung; Meditation, bewusste Atmung. Bewusstes sein. Eben wie ein gut geordneter Schrank wo alles seinen Platz hat, gefaltet, aufgehängt, nach Farben sortiert….Abendkleider oder Jeans und Pulli je nach Situation und Laune hervorgeholt werden…
Oder auch wie Jazz und Classic, Rock oder Blues….Hauptsache, es ist gute Musik!

Kerstin Reif, International certified Pilates Mastertrainer, Yogalehrerin, USA

Kerstin Reif ist Leiterin des Essence-Pilates Ausbildungsinstituts/ Pilates & Yoga Studio Bremen. Sie ist Pilates Master Trainerin,Yogalehrerin und ausgebildete Sport- und Gymnastiklehrerin. Sie unterrichtete Modern Dance an der University of Hawaii und schloss ihr Studium mit einem Bachelors Degree in Psychologie ab.

1993 begegnete sie zum ersten Mal Yoga und Pilates auf Maui/ Hawaii. Sie nahm Yogaunterricht bei Gary und Mirka Kraftsow/ Hawaii und studierte Yoga 1997 mit Rodney Yee in Oakland/ Californien. Rodney Yee ist einer der weltweit renomiertesten Yogalehrer.

Kerstin absolvierte ihre Pilates Master Ausbildung in San Francisco mit Madeline Black/ Physical Mind Institut 1998. Madeline gehört zu den international gefragtesten Pilates Masterlehrerinnen.Durch ihre persönlichen Kontakte zu Madeline, findet einmal im Jahr ein Workshop der Extraklasse mit Madeline Black in Bremen statt, zu dem Teilnehmer aus der ganzen Welt kommen.

2000 gründete Kerstin das ESSENCE PILATES STUDIO BREMEN und 2005 das ESSENCE PILATES AUSBILDUNGSINSTITUT. Kerstin leitet weltweit Pilates-und Yoga-Seminare und bildet in Ihrem Essence-Pilates Ausbildungsinstitut angehende Pilatestrainer aus (ab 2012 auch Yogalehrer). Im Rahmen Ihres Ausbildungsinstituts lädt sie regelmäßig Pilates- und Yogareferenten aus Europa und den U.S.A ein. Kerstin Reif ist im Vorstand des Deutschen Pilates Verbandes und unterrichtet in Ihrem Pilates & Yoga Studio in Bremen Yoga, Pilates an den Studiogeräten und Pilates Mattenklassen.